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Emilia Smechowski: Wir Strebermigranten

Als Fünfjährige floh Emilia Smechowski im Sommer 1988 mit ihren Eltern von Wejherowo nach Westberlin, aus einem Dorf in Westpreußen in eine eingemauerte Stadt. Die Familie hat den „polnischen Abgang“ gemacht, sie floh still und heimlich, in einem Polski Fiat, der gepackt war mit Badeanzügen, Schlafsäcken und Zelt — für einen vermeintlichen Rimini-Urlaub. Ebenso wie in Polen niemand von der Flucht wissen durfte, sollte später in Deutschland keiner wissen, woher die Familie kam. Fortan wollten die polnischen Smechowskis deutscher sein als die Deutschen selbst. So wie viele andere Polen auch. Dank des Abkommens der BRD für Spätaussiedler funktionierte die Einbürgerung rapide, innerhalb eines Jahres hatten die Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft, aus Emilka wurde Emilia und auch der Nachname eingedeutscht. Mit dem Überqueren der Grenze begann auch die „ultimative Deutschwerdung“ der Familie, in Rechtschreibung mussten Emilia und ihre Schwester besser sein als die Mitschüler, auf Parties brachte die Mutter, klar, Caprese mit, statt Bigos oder Pierogi, es wird bei Karstadt gekauft, das Eigenheim und der Audi sind genauso wichtig wie alle möglichen Versicherungen.
Als Smechowski mit ihren Eltern aufgrund der nicht zu vereinbarenden Vorstellungen ihre Berufsausbildung betreffend (sie möchte Opernsängerin werden, für die Medizinereltern unzumutbar) in einen jahrelangen Konflikt tritt, beginnt sie zunehmend, sich mit ihrer Herkunft auseinanderzusetzen.
Kritisch ist die Autorin zu sich, schonungslos ehrlich zu ihrer Familie und spiegelt dabei unser Leben in Deutschland von 1990 bis heute. Spannend zu lesen ist ihre Sicht auf das allmähliche Verstummen, Verschweigen und Unsichtbarmachen ihrer eigenen polnischen Herkunft — ja das Verlernen der Muttersprache. Zwischenstationen in allen erdenklichen Jobs und späte Einsichten machen deutlich, welche Probleme es gibt, zunächst keine Heimat zu kennen und später hin & her gerissen zu sein zwischen mehreren Heimaten.
Wir Strebermigranten ist die Geschichte vieler Polen und eine ganz persönliche der Autorin, ein Reisebericht, ein Familienroman und eine kulturelle Auseinandersetzung. Thema ist vor allen Dingen die Unsichtbarkeit der Polen, die zwar als zweitgrößte Migrationsgruppe in Deutschland lebt, jedoch im Vergleich als integriert und unauffällig gilt.
Ein unglaublich gut geschriebenes Buch, das ich sicher noch ein weiteres Mal lesen werde. (L. Huber)

Einband: gebundenes Buch
EAN: 9783446256835
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Kategorie: Belletristik

 

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