0

Fatma Aydemir: Dschinns

Dreißig Jahre lang hat Hüseyin in Deutschland keine Überstunde, keinen Wochenenddienst in der Fabrik ausgelassen um sich und seiner Familie eine Eigentumswohnung in Istanbul zu kaufen. Doch als er endlich in der fertig eingerichteten Wohnung steht, stirbt er. Herzinfarkt. Tot. Ganz alleine.
Mit diesem drastischen Einstieg wirft Fatma Aydemir uns mitten in die kurdisch-türkisch-deutsche Familiengeschichte rund um Hüseyin. Denn es ist eigentlich seine Geschichte, der wir uns aus sechs verschiedenen Blickwinkeln nähern. Zuerst aus seiner eigenen Sicht, dann jeweils aus der seiner vier Kinder und schließlich aus der Perspektive seiner Frau Emine. Fatma Aydemir findet dabei für jedes Familienmitglied eine ganz eigene Sprache, legt generationenübergreifende Traumata, gut gehütete Geheimnisse und verdrängte Sehnsüchte frei. Denn Hüseyins Geschichte ist eine Geschichte des Schweigens; ist die Geschichte sechs grundverschiedener Menschen, die Familie sind.
Wir reisen auf unterschiedlichen Wegen mit den Hinterbliebenen von Deutschland nach Istanbul zur Beerdigung und von dort aus in die Vergangenheit und zugleich in die Zukunft. Konkreter: Der Roman spielt in den späten 1990er Jahren – wir denken an Gastarbeiter, Familiennachzug, Brandanschläge auf Ausländersiedlungen, Neonazis.
Ümit ist der Jüngste, lebt noch zuhause und wurde, als einziger der Geschwister, in Deutschland geboren. Als er sich in einen Fußballkameraden verliebt, folgt er dem Rat seines Trainers und geht zur Konversionstherapie. Sevda, die älteste, kam in einem abgelegenen kurdischen Dorf zur Welt und hatte große Träume als sie mit 16 Jahren nach Deutschland nachziehen durfte. Eine frühe Heirat, zwei Kinder, ein Brandanschlag und eine Trennung später, hat sie es geschafft, sich als Alleinerziehende selbstständig zu machen aber nicht glücklich zu werden. Peri hingegen bricht schon früh aus und stürzt sich in ein Germanistik Studium, Nietzsches Nihilismus, Sex und Drogen. Hakan scheint sich in der Rolle, die er spielen will, selber zu verlieren und oszilliert zwischen halblegalen Geschäften und der großen Sehnsucht nach Anerkennung. Hüseyins Frau Emine schließlich möchte ihre Familie zusammenhalten, und doch versteht sie sie nicht. Was bleibt ist Schweigen und die Erkenntnis, dass niemand ihren Schmerz verstehen wird.
Ausgelöst vom Tod des Patriarchen Hüseyin stellen sich alle Figuren ihren Dschinns/Geistern – oder weniger mystisch ausgedrückt: ihren Lebensfragen. Ein berührend wuchtiger Roman von ganz eigener Schönheit, den ich jetzt schon ein zweites Mal lesen möchte. (L.  Köhl)

 

Roman
Einband: gebundenes Buch
EAN: 9783446269149
24,00 €inkl. MwSt.

Lieferbar innerhalb 1 Tages

In den Warenkorb
Kategorie: Belletristik

 

deutscher_buchhandlungspreis_logo_2019_mit_zusatz_retina.jpgbuchhandlungspreis.jpgbanner_neustart-kultur.png